Gold und Silber für Deutschland am ersten WM-Tag in Guadalajara

Direkt von vor Ort berichtet unser Bundesportwart, Thorsten Reulen, über die Weltmeisterschaften im Rahmen der GayGames 2024 in Guadalajara:


Das Mexikobild der Babyboomer-Generation (von der ich ein nachgeborenes Exemplar bin) basiert auf Rex Gildo (einem schwulen Bayern), auf Speedy Gonzales (einer Trickfilmmaus) und auf dem Anschauen unzähliger berittener, betrunkener und um sich ballernder Banditen, die edlen, blassen, gottesfürchtigen Siedlern nach dem Leben trachten. Natürlich machen wir uns diese Klischees als DVET-WM-Delegation nicht zueigen. Auch Parallelen aus der Sportwelt (unvergessen: Pierre Littbarski mit Schlapphutsombrero https://www.youtube.com/watch?v=tffACIijQ8k) verbitten wir uns.

Wir wollen gern glauben, dass Mexiko zu unrecht als rückständig und gewalttätig beleumundet ist und dass Guadalajara, die zweitgrößte Stadt des Landes, sehr wohl dazu in der Lage sein wird, ein großes Sportevent wie die GayGames, auch mit kurzer Vorlaufzeit, adäquat auf die Beine zu stellen und Sportlerinnen und Sportler aus der ganzen Welt freudig Willkommen zu heißen und dabei zu demonstrieren, dass Guadalajara eine weltoffene und tolerante Stadt ist, die unter anderem auch über eine vibrierende schwullesbische Szene verfügt. Wäre es nicht so, hätte sich die Federation of GayGames ja nicht Guadalajara als Co-Gastgeber der 11. Gay Games ausgesucht.
Soweit der Anspruch.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Zwar blieben uns Banditen und Rennmäuse bis jetzt gänzlich erspart, aber mit "Fiesta Mexicana" war bis jetzt auch nicht viel zu wollen. Das ganze Drumherum dieser Multisportveranstaltung ist verglichen mit zurückliegenden Ausgaben dieser Veranstaltung ziemlich armselig. Ich weiß nicht, wie es medial aussieht, aber bei einem Gang durch die Stadt deutet nichts darauf hin, dass hier gerade GayGames im Gange sind. Die Eröffnungsfeier war diskret am Stadtrand, es gibt kein Rainbow Village in der Stadt, keine Beflaggung, keine Plakate, einfach gar nichts. Und die offizielle Teilnehmerzahl von ca. 2.500 Menschen verläuft sich einfach in der Stadt. Es sind Schmalspur-GayGames, die hier stattfinden. Was das für die Zukunft der GayGames bedeutet und für zukünftige Equality-Weltmeisterschaften, das soll hier jetzt aber nicht Thema sein.

Reden wir lieber über Tanzsport. Fünf der sechs DVET-Paare sind inzwischen eingetroffen und wohlauf, das sechste Paar wird für Dienstag erwartet. Kaum zu glauben aber wahr: Mit seinen sechs A-Paaren stellt der DVET 75% aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Europa. Nur aus England und Polen findet sich noch je ein Paar. Dazu eines aus Kanada, eines von den Philippinen, einige aus dem Gastgeberland Mexiko. Alle anderen Paare und Teams kommen aus den USA, aber auch das nur in einer sehr übersichtlichen Anzahl. Meldungen für die Klassen D und C gibt es fast gar nicht, und wenn die Veranstaltung nicht durch das Zusatzprädikat IFSSDA-WM überproportional A-Klassen-Paare angezogen hätte, hätte sie wahrscheinlich komplett abgesagt werden müssen.

Equality-WM also. Die erste seit fünf Jahren. Was allein schon für Zulauf hätte sorgen sollen. Eigentlich. Mit deutschen Ambitionen, die sich wahrlich nicht nur aus den niedrigen Meldezahlen ergründen, durch diese aber noch einmal zunehmen. Zehn Medaillen aus voraussichtlich zwölf Starts konnte man vorher als Minimalziel ausgeben, ohne als größenwahnsinnig zu gelten.

Vielleicht ist es aus sportlicher Sicht gar nicht so schlecht, dass draußen vor der Tür so wenig geboten wird. Denn das macht es einfacher, sich auf das Tanzen zu fokussieren. Und diesbezüglich haben die drei deutschen Paare, die am ersten Turniertag in den Standardtänzen und im Showdance an den Start gegangen sind, mehr als überzeugt. In einem WM-würdigen, zum Tanzsaal umgebauten Theater, unter riesigem Leuchter und auf großer Tanzfläche, sowie unter den Augen eines internationalen Wertungsgerichts (darunter auch Kerstin Stettner als Mitbringsel aus der Heimat) lieferten die deutschen Paare relativ gnadenlos ihre Leistung ab. Als sei es ein Turnier in der heimischen Zeitzone. Bei den beiden anderen europäischen Paaren war das zumindest an diesem ersten Tag noch nicht der Fall. Heraus kamen bei den Frauen Gold und Silber sowohl in den Standardtänzen als auch im Showdance.

Leistungsmäßig gewohnt eng beieinander liegend setzten sich diesmal Miriam Meister und Angela Pikarski aus Köln gegen Tania und Ines Dimitrova aus Berlin durch. Dadurch wurden sie nicht nur neue Weltmeisterinnen, sondern setzen auch eine lange Tradition in dieser Teildisziplin fort, die schon immer und ausnahmslos rheinische Paare an der Spitze gesehen hat. Im Showdance der Frauenpaare konnten die versierten Dimitrovas den Spieß dann allerdings umdrehen, sich mit ihrem EM-Gold-Programm "Pilot und Stewardess" gegen "Rise like a Phoenix" von Meister/Pikarski durchsetzen und sich nun Weltmeisterinnen im Showdance nennen. Die entsprechenden Titel bei den Männern gingen ohne große Gegenwehr nach Polen (Standard) und auf die Philippinen (Showdance). Von letzterem wird im Zusammenhang mit dem am Mittwoch anstehenden Lateinturnier sicher noch zu reden sein.

Hier und jetzt soll hingegen lieber die Rede sein von Simone Biagini und Thomas Bensch, die bei den Senioren drei Starts vor sich haben und am ersten Tag mit dem WM-Titel in den Standardtänzen jenen Sieg einfuhren, der vorab als am wenigsten wahrscheinlich gelten musste. Optisch relativ souverän (die Detailwertung liegt noch nicht vor), konnten sie sich gegen die englischen Vize-Europameister Dane/Haycock durchsetzen.

Die WM-Titel von Meister/Pikarski und Biagini/Bensch sollten Appetit und Lust machen auf den zweiten Turniertag, an dem für beide die 10-Tänze-Turniere anstehen. Mit der Lust ist das allerdings so eine Sache. Wenn auch rein sportlich alles gut und fair ablief, so war der erste Turniertag dennoch eine Anhäufung von Pleiten, Pech und Pannen unfassbaren Ausmaßes, über die noch zu reden sein wird. Teils surreal, teils einfach katastrophal erlebten wir Aspekte der Turnierdurchführung und der Präsentation, die selbst ich mit meinen über 25 Jahren Equality-Turniererfahrung noch nicht erlebt habe. Das muss besser werden am zweiten und am dritten Tag. Viel besser. Allein schon aus Respekt gegenüber den ausländischen Paaren, die viel Zeit, Geld und Mühe in den Start bei dieser WM gesteckt haben. Auch wenn WM-Medaillen eine tolle Sache sind: Sie sind eben nicht alles.

Mit der Hoffnung auf einen besser funktionierenden zweiten Turniertag verbleibe ich zunächst mit einem kräftigen Hossa! und sende Grüße aus der trockenen Wärme in die feuchtkalte Heimat.

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