EuroGames/EM 2021: Thorstens Nachbetrachtungen zu den "heiteren Spielen von Kopenhagen"

EuroGames Kopenhagen 2021 - Nachbetrachtungen und alle Ergebnisse

Es passiert relativ selten, dass der letzte Turniertag einer mehrtägigen Equality-Veranstaltung kein Hauptgruppenturnier in Standard oder Latein beinhaltet. In diesem Jahr war dies aber der Fall. Das ist dramaturgisch etwas unglücklich, denn man sieht die ganz großen Highlights halt gern am Schluss, aber auch in dieser Angelegenheit macht Corona alles anders. Zu den Turnieren der EuroGames 2021 passte es hervorragend, einen gemütlichen, entspannten Abschlusstag genießen zu können, an dem die Ellenbogen der Hauptgruppenturniere schon wieder eingefahren waren. Sportlich lag wenig Brisanz in der Luft. In den Senioren-Standardturnieren der Frauen und Männer lief alles nach Plan ab, und man konnte sich am bloßen Zuschauen erfreuen. Was man erstmals auch von einem der hier ebenfalls auf dem Programm stehenden Turniere der Kategorie "Mixed/Non-binary" behaupten konnte. Beim Hauptgruppen-Lateinturnier gab es nicht nur die Kombination führender Männer mit folgenden Frauen im klassischen Mainstream-Turnierlook, sondern auch führende Frauen mit folgenden Männern, ganz spontan zusammengefundene Paare und das einzige "Non-binary-Paar", das das Angebot angenommen hat, in dieser Kategorie anzutreten. Wie groß der sportliche Wert eines dermaßen zusammengewürfelten Turniers sein kann, darüber lässt sich vortrefflich streiten. Schön anzugucken war diese bunte Truppe und deren Tanzen aber allemal, und als Fun-Turnier außerhalb einer offiziellen Wertung wäre so etwas auf alle Fälle eine Bereicherung eines jeden Equalityturniers, bei dem der Zeitplan es zulässt. Dass in den beiden Seniorenturnieren Caroline Privou und Petra Zimmermann am Ende doch noch einen EM-Titel errungen haben und auch Niels Hartvigson mit seinem Tanzpartner Filip Jensen einmal einen offiziellen Meistertitel bekommen hat, gehört auch noch zum heutigen Wohlfühlprogramm. Eigentlich waren die gesamten EuroGames vor allem eine einzige Wellnessveranstaltung und so ziemlich das Gegenteil von dem, was viele von jenen, die zuhaus geblieben sind, aber auch sicher viele der ausländischen Teilnehmer*innen und Zuschauer*innen befürchtet hatten, nämlich "Corona-Games". Man könnte nun anführen, dass Dänemark - anders als Deutschland - eben gerade noch rechtzeitig die epidemische Kurve gekriegt habe und die Vergabe der EuroGames 2021 nach Kopenhagen letztendlich zu einer glücklichen Fügung geworden sei. Ja, Glück war auf alle Fälle dabei. Aber meiner Ansicht nach viel weniger das Glück, dass sich Dänemark in einer signifikant anderen epidemischen Lage befindet als das Glück, dass man in Dänemark eine abweichende Einschätzung zu der Frage hat, was Staat darf, was Staat muss und wann eine Sache ein Ende haben muss. Das hat den deutschen Gästen im wahrsten Sinne des Wortes einige Tage Luft zum Atmen verschafft, und die Heimreise wird den meisten sicher schwergefallen sein. Nach einer weiteren Urlaubswoche steht die Rückkehr in die Maskenrepublik Deutschland nun auch für mich an - und leicht wird mir das nicht fallen. Wie soll es auch rein in einen Kopf, dass in Dänemark auch Ungeimpfte unmaskiert in vollen Bussen und engen Kneipen sitzen können, während ich in der Tagesschau zur offiziellen Gedenkfeier für die westdeutsche Flutkatastrophe im riesigen Aachener Dom geimpfte Politiker*innen einzeln in Reih und Glied mit Maske und Abstand sitzen sehe?

Was wird bleiben von den Tanzturnieren der EuroGames 2021? Als was werden sie in die Geschichte eingehen? Oder wird man sie schnell vergessen, weil man sie wie schon Rom 2019 in die Kategorie "zählt nicht richtig" einsortieren wird? Für einige wird es das Turnier bleiben, bei dem Privou/Zimmermann die erste Niederlage seit der Erfindung des Rades erlitten haben. Für alle wird es hoffentlich jenes Turnier sein, das nach fast eineinhalbjähriger Unterbrechung die Wiederauferstehung des gleichgeschlechtlichen Tanzsports markiert. Für die Anwesenden waren diese EuroGames Balsam auf pandemiegeschädigte Seelen, und für die Abwesenden mögen sie das Signal sein, dass Tanzsport sogar unter "Normalbedingungen" nicht nur denkbar, sondern auch machbar und nicht per se "grob unvernünftig" ist. Funktionär*innen können beruhigt konstatieren, dass die neun vergebenen EM-Titel 2021 an würdige Turniersieger gegangen sind (wobei auch sieben oder elf Titel eine Option gewesen wären), fünf Europameisterpaare und -gruppen von 2017 dürfen nun noch ein weiteres Jahr amtieren, die Deutschen dürfen sich mit vier EM-Titeln und einem weiteren EuroGames-Sieg wieder als erfolgreichste Nation feiern, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass es bis in alle Ewigkeit das kleinste aller EuroGames-Turniere bleiben wird. Das übliche Zählen von Medaillen unterlässt man in diesem Fall auch besser, denn kaum ein Paar ist ohne eine solche aus Kopenhagen zurückgekommen. Es gab viel Wasser von unten und von oben, und so wurde quasi folgerichtig das Hit-Shanty "The Wellerman" zur Hymne der Tage von Kopenhagen, dargeboten als dänischer Linedance zum Mitmachen für Alle. Vermisst hat man neben vielen Tanzpaaren vor allem ein Siegertreppchen und leider auch relativ lange die offiziellen Turnierergebnisse. Aber irgendwie war das diesmal alles nicht so tragisch und dem allgemeinen Wohlbefinden wenig abträglich. Es waren halt ganz spezielle Turniere.

In Deutschland wird es erst im Oktober die ersten postpandemischen Equality-Turniere geben. Dann werden bei uns prozentual mehr Menschen geimpft sein, als dies im August in Dänemark der Fall war. Und dennoch wäre es eine Sensation, wenn das Herbstturnier vom TSC Mondial Köln und die Deutschen Meisterschaften in Darmstadt ganz ohne coronabedingte Einschränkungen stattfinden könnten. Das wäre eine politische 180°-Kehre, mit der nicht zu rechnen ist. Geplant ist die DM derzeit als 3G-Event, aber die Option einer 2G-Veranstaltung ist auch noch nicht vom Tisch. Sollte 2G mit der Erlaubnis einhergehen, hinter der Einlasskontrolle eine DM im geschätzten Normalmodus ohne Masken und Abstand durchzuführen, muss das eine Erwägung wert sein. Gerade jetzt nach Kopenhagen, wo wir gesehen haben, dass es eben doch sehr viel ausmacht, ob Turnierpaare vor einer Wand starrer und stummer Masken agieren oder vor einer Gruppe lächelnder und anfeuernder Gesichter. Auf dass der Geist der "heiteren Spiele von Kopenhagen" zumindest ein wenig auch nach Deutschland überschwappen und einen Ansturm auf die Herbstturniere in Deutschland und Großbritannien auslösen möge.

Text: Thorsten Reulen

Ergebnisse der EuroGames/Europameisterschaften 2021 von Kopenhagen (externer Link auf die ESSDA-Website)

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